Der Dunkle Schatten

Depression ist ein schwarzer Schatten, ein Schleier vor meinen Augen. Sie ist gleich schweren Betonklötzen an den Beinen, die mich lähmen und in den verschlingenden Abgrund hinunter ziehen. Sie ist eine Manifestation der Trennung – ich bin ganz allein. Ich bin verlassen. Du hast mich verletzt, du hast mich verlassen. Wer auch immer du bist. So genau weiß ich das nicht mehr. Du bist etwas das außerhalb von mir zu existieren scheint, abgespalten. Ich kenne dich nicht, und doch bist du mir so nah. Augenscheinlich kannst du alle Formen annehmen. Mutter, Vater, Bruder, Schwester. Freund und Geliebter. Gott. Du hast mich verlassen. Du warst nie für mich da. Du hast mich benutzt. Ich bin verloren. Ich suche dich mein Leben lang in allen Erscheinungen, und jedes Mal wenn ich vermeintlich auf dich treffe und dieses Vakuum in mir auf die Projektion meiner Sehnsucht trifft, wirst du zu der Mutter, dem Vater, dem Geliebten, dem Gott, der mich verlassen hat. Es ist nichts für mich übrig, was bleibt ist diese vernichtende Leere, die was auch immer ich bin absorbiert. Ich bin nichts.

So suche ich den Schlaf, das Vergessen, die Betäubung. Erfolg und Reichtum. Besitz und Status. Anerkennung und Rausch. Ich möchte entkommen. Egal wohin, nur raus aus diesem Gefängnis der Einsamkeit, der Ablehnung, der Verwahrlosung. Raus aus diesem Sog des Schmerzes, in dem ich täglich zu ertrinken drohe. Ich möchte sterben und kämpfe doch jeden Tag verzweifelt ums Überleben. Ich will leben, doch ich finde die Tür ins Leben nicht. Niemand war da um sie mir zu öffnen. Niemand hat mich eingeladen. Ich wurde einfach ausgesetzt. Und nun irre ich verloren umher, mein Rufen, meine Schreie, mein Flehen, mein Schmerz verhallen ungehört im Nichts. In allem, in dem ich meine dich zu finden, offenbarst du mir wieder und wieder diese fundamentale Leere. So ist mein flüchtiges Glück eine stetige Illusion, eine Verzerrung. Ein kurzer Rausch, der mich abhängig macht und auf Entzug setzt. Jedesmal meine ich, mich an etwas zu erinnern, aber was diese Erinnerung genau ist, offenbarst sich mir nicht. Du wechselst deine Form ständig und in dem Moment, in dem ich meine, dich endlich gefunden zu haben, verwandelst du dich wieder und wieder in einen dunklen Schatten, dieses verzehrende Nichts.

Dieses Nichts ist ein bodenloser Abgrund, hinein ins Unbekannte, fremdes Terrain. Haltlose Ohnmacht. Ich versuche die Augen zu schließen, aber selbst wenn ich nichts sehe, so spüre ich doch den Schmerz, die Verzweiflung. Ich kann dich nicht festhalten, du kannst mich nicht halten, ich kann mich nicht festhalten. Während ich mich an dich klammere zerrinnt deine Form in meinen Händen wie Sand. Ich falle und falle, tief in die verschleierte Illusion, um mich herum Nebelschwaden, düstere Gestalten, die mir all die Angst und Hoffnungslosigkeit gesammelter und unbewusster Erinnerung eindringlich ins Ohr flüstern. Meine Zellen vibrieren zu dieser hypnotischen Melodie, die mich innerlich aufspaltet und trennt.

Hier bin ich jetzt ganz allein, nur in Gegenwart dieses Schattens, selbst meine Projektion hat sich ins Nichts aufgelöst. Ich möchte davonlaufen, doch dem Schatten kann ich nicht entkommen. Hier unten in der Dunkelheit quält er mich mit seiner leidvollen Geschichte, mit meiner Geschichte. Er will mich zwingen ihn anzusehen, ihm zuzuhören. Dabei verschließe ich meine Augen so fest ich nur kann und halte mir die Ohren zu. Seine Präsenz ist unerträglich, dunkle schwere Rauchschwaden, die mir das Luft holen schwer machen und sich tief in meine Lunge brennen. Ich versuche, so flach wie möglich zu atmen, unsichtbar zu werden, vielleicht vergisst er mich dann. Ich versuche ihn zu betäuben, zu unterdrücken, in die Ablenkung zu entfliehen, in der Hoffnung dass er mich in meiner Betäubung, in meiner Rastlosigkeit nicht mehr erreicht. Und dabei treibt er mich immer näher an den Abgrund. Ich bin erschöpft, ich kann nicht mehr. Seine Hartnäckigkeit erhöht die Dosis stetig, die ich benötige um ihm entfliehen, um ihn ignorieren zu können. Ich oszilliere zwischen Koma und Hyperaktivität. In dieser Lähmung und Ruhelosigkeit sind wir verkettet als Jäger und Gejagter. Ich komme keinen Schritt mehr weiter, drehe mich nur mehr um die eigene Achse, gefangen in einem Teufelskreis.

Das Aufwachen am Morgen ist die stetige Wiederbelebung des Gestern, und das Heute ist die ständige zermürbende Flucht vor der Vergangenheit. Ein anderes, ein neues Morgen wird es nicht geben. Ich habe verloren, ich bin verloren.