Roh

Im Konstrukt der Zeit – vor einigen Jahren – hat sich alles verwandelt. Nicht, dass dies ein einmaliges Ereignis gewesen wäre, noch hatte es einen Anfang und entwickelte sich weiter. Es war nicht etwas, das man sich in einem solchen Zusammenhang vorstellen oder erwarten würde. Nicht so. Denn die Vorstellung von dieser Veränderung – die manche als „Erleuchtung“ oder, weniger bedeutungsschwer als „Erwachen“ bezeichnen würden – wird gewöhnlich mit etwas „Positivem“ assoziiert, wie Befreiung oder Selbsterkenntnis.

Ich habe mich nie „nicht wach“ gefühlt, aber ich fand das Aufwachsen in/als diese menschliche Lebensform mit all ihren Programmierungen durch Trauma und kulturelle Konditionierung ziemlich anstrengend. Ich strebte eher nach Betäubung und Rausch, aber eigentlich gibt es keine Möglichkeit, die Lebendigkeit zu betäuben. Lebendigkeit kann die Form von Betäubung annehmen, und sie kann berauschend sein. Sie hat vielfältige Erscheinungsformen.

Im Laufe meines Lebens war ich offen für viele Ideen, worum es im Leben gehen könnte, wer ich bin oder nicht bin. Woher ich komme, wohin ich gehöre. Ich hatte ein Leben lang die Sehnsucht, „meinen Stamm“ zu finden, und diese Sehnsucht verstärkte nur meine Gefühle des Alleinseins, des Nicht-Dazugehörens. Ich erkannte, dass die Kluft zwischen „mir“ und „dem Anderen“ niemals überbrückt werden kann, selbst wenn Konzepte und Überzeugungen über die „Realität“ geteilt werden. Die Leere kann nicht durch Konzepte und Projektionen gefüllt werden. Letztlich bleiben wir einander unbekannt.

Als die Verwandlung geschah, befand ich mich in dem, was manche als „volles Kundalini-Erwachen“ bezeichnen. Meine Vorstellungen von diesem „Ereignis“ drehten sich um die Transformation in dieses jenseitige Wesen, das all seine weltlichen Anhaftungen, einschließlich dieses Körpers, transzendiert. Glückseligkeit und Satori und göttliche Vereinigung. Shiva und Shakti.

Und tatsächlich wurde ich immer wieder mit Glückseligkeit überströmt. Aber ich versank auch in einen Abgrund, der sich wie Vernichtung anfühlte. „Ich“ und „dieser Körper“. Anstatt sich in eine strahlende, anmutige Elfe zu verwandeln, entwickelte mein Körper schwer einschränkende Symptome, die schließlich als „unheilbare Krankheit“ diagnostiziert wurden.

Da war ich nun, ein Teil von „mir“ im Satori, aber das Gefäß war offensichtlich zerbrochen. Meine spirituellen Überzeugungen und Konzepte wurden erschüttert, zerstört wie eine Sandburg, die von einer verheerenden Ozeanwelle verschluckt wird. Ich habe mich noch nicht vollständig erholt, weder vom Satori, noch von der Behinderung.

Die „Erleuchtung“ führte „mich“ nicht in jene andere, höhere Dimension, nicht ins „gelobte Land“, nicht ins Nirwana, es gab keinen Aufstieg. Sie war eher nüchtern und klar, wo das Glitzern als das gesehen wurde, was es ist. Und sie ist roh. Erhaben. Lebendigkeit wurde roh. Nicht, dass diese „vorher“ anders gewesen wäre, sie war schon immer roh. Aber in ihrer Ungeschliffenheit konnte ich ihre ursprüngliche Lebenskraft oft nicht erkennen. Ich wollte, dass Lebendigkeit schön, aufregend, erhebend ist. Lebendigkeit hatte gesund und glücklich zu sein. Voller Kraft und Ausstrahlung. Lebendigkeit war das Gegenteil von Trauer, Traurigkeit, Wut, Angst, Krieg, Krankheit, Verfall, Leid und Tod. Ich wollte, dass sie ein nie endender Frühling und Sommer ist, ein ewig konserviertes Blühen, eine nie endende Geschichte von Liebe und Licht. Unsterblich.

Und dann erkannte ich in meiner eigenen gelebten Erfahrung, dass die Lebenskraft nicht an eine Erscheinung gebunden ist. Wie sie jede Erscheinung ist, ohne Präferenz, ohne Urteil. Sie ist einfach das, was sie ist, egal wie es benannt, etikettiert oder eingeordnet wird.

Es gibt keinen Kampf mehr mit dem, was ist, kein Verlangen, etwas anders oder besser zu machen,als es ist. Und wenn es da ist, dann ist es das, was ist.

Lebendigkeit ist nicht exklusiv. Sie ist in allem und als alles.

Gehstock: Neo Walk