Man sagt, dass Verlangen, Begierde, Sehnsucht die Wurzel des Leidens sei. Aber das Verlangen erscheint in seiner Ursprünglichkeit eher als ein sehr intensiver Ausdruck von Lebendigkeit, mit einzigartigen Qualitäten. Leiden kann entstehen, wenn das Verlangen darauf gerichtet ist, das Imaginäre zu erreichen, das, was nicht real ist.
Die Verlangen ist in seiner Essenz Teil des sich entfaltenden Lebens, Lebens in Bewegung, und in dieser Natur hat es keinen Namen mehr und ist wertfrei.
Wenn das Begehren, das Verlangen an eine bestimmte Errungenschaft geknüpft ist, sei es ein Objekt oder eine Empfindung, wie Befriedigung, Glück, Liebe, Vergnügen, impliziert es, dass es etwas zu bekommen gibt, mehr zu erreichen ist. Oft steckt dahinter ein subtiles Gefühl von „nicht genug“, von Mangelhaftigkeit. Beides – sowohl die Vorstellung von „mehr“ als auch die Vorstellung von „nicht genug“ – sind eine Illusion, es sind Konzepte, Überzeugungen, Interpretationen des Gehirns, die auf konditionierter Erinnerung beruhen. Aber auch die Erinnerung ist eine Illusion. Sie ist eine – oft lebhafte – Geschichte, nicht wirklich. Die Erinnerung ist die Grundlage der geschaffenen, konditionierten Persona, der Identität, und das sagt alles über ihre Substanz.
Das Verlangen ist eine starke Triebkraft für das Imaginäre, Illusionäre: das scheinbare „Weniger“ soll „Mehr“ werden, das scheinbare „Selbst“ soll sich verbessern, das scheinbare „Jetzt“ (das in einer imaginären Vergangenheit wurzelt) soll ein besseres imaginäres „Morgen“ werden.
Anhaftung ist das, was Leiden schaffen kann, wenn das Leben in seiner ganzen Intensität zu fesseln scheint. In einer vergänglichen Welt ist alles flüchtig, nichts bleibt. Freude wird vergehen, Schrecken wird vergehen.
Selbst ein so negatives Gefühl wie Hass, ohne Bindung an ein Objekt oder ein Ereignis, kann als starker, aber flüchtiger Eindruck erlebt werden, der das System durchläuft, ohne nennenswerte Spuren zu hinterlassen. Wird jedoch ein starkes Gefühl projiziert und an einen imaginären Anderen oder ein Ding gebunden, kann im Strom ein Widerstand auftreten, und wie bei einem elektrischen Widerstand nimmt die Spannung zu.
Da das Gehirn Wahrnehmungen vor allem durch Kausalität interpretiert, scheint es, dass die Erscheinungsformen des Lebens einen Grund, einen Ursprung und eine Bestimmung, ein entsprechendes Ziel haben. Aber letztlich ist alles nur eine vorübergehende Erscheinung, mit der sich der Mensch identifizieren und daraus eine persönliche Geschichte (aus der Sprache, die von Natur aus begrifflich und linear ist) sowie eine Anhaftung schaffen kann. Identifikation – wenn Wahrnehmung und Interpretation persönlich werden – erzeugt oft einen Impuls, auf eine Erscheinung zu reagieren. Und so entfaltet sich die Geschichte des Lebens, ausgehend von einer unbekannten Quelle, die durch konstruierte Konzepte, die als „Wissen“ getarnt sind, versucht wird zu begreifen. Während das Leben aus dem Unbekannten ins Unbekannte fließt, zeitlos und raumlos.