Das Selbst braucht Bezugspunkte, um sich selbst zu definieren, die es durch imaginäre Trennung findet: in dir, im anderen, in der Welt, in der Vergangenheit, in der Zukunft, im Raum – die allesamt Konzepte der geistigen Landschaft sind. Das Selbst ist die Kreation einer angenommenen vergangenen Lebensgeschichte und einer imaginären Zukunft und agiert scheinbar als individuelle Entität in einem konzeptuellen „Jetzt“. Auf dieser Landkarte gibt es verschiedene Koordinaten, von einem „niederen“ bis zu einem „höheren“ Selbst, von einem „falschen“ bis zu einem „wahren“ Selbst, einem Selbst zwischen schlafend über erwacht bis erleuchtet.
Das Selbst liebt Erzählungen über sich selbst, Geschichten des Fortschritts, der Evolution, des Erfolgs, der Manifestation, der Befreiung; sogar die Geschichte, nur eine fiktive Figur oder „niemand“ zu sein. Es mag jedoch keine Geschichten über Versagen und Leiden, also bettet es sie in Erzählungen über Ursache und Wirkung, eine Quelle, ein (karmisches/traumatisches) früheres Leben ein. Und durch verschiedene Erfindungen wie „Praxis“, „Sadhana“, „Meditation“, „Achtsamkeit“, „Selbstverbesserung“, „Selbstoptimierung“, „Selbstermächtigung“, „Selbsterkenntnis“, „Selbstheilung“, „Selbstliebe“ usw. schafft es Wege und Methoden und „Heldenreisen“, von der Flucht über die Überwindung bis hin zur Transformation und Transzendenz seiner selbst.
Es erschafft zahlreiche Regeln und Anweisungen, Leitfäden und „Dos und Don’ts“. Und während es die von ihm erfundene Leiter des Bewsussteins, des Erfolgs, des Prozesses, der Absicht und des Ziels hinaufklettert, erinnert ein klaffender Abgrund darunter ständig an die eine Richtung, in die es gehen muss. Wenn ihm schwindelig wird oder es ein paar Schritte zurückfällt, stehen ihm die Ideen von „besser“ und „mehr“ und „weiter“ zur Seite.
An diesem scheinbaren Operator-Modus, der aus der organischen Intelligenz eines ineinander vernetzten, unergründlichen „Organismus“ hervorgegangen ist, ist jedoch nichts verkehrt.
Das Wunder dessen bleibt oft unbemerkt, während es zutiefst mit der Fragmentierung identifiziert ist, die selbst ein Wunder in sich sein mag.
Geschichten und Überzeugungen über das Selbst sind Teil eines sehr kreativen Überlebensmechanismus, bei dem die Vernetztheit schließlich alle Indivi-dualität absorbiert und assimiliert, wobei die Individualität selbst nichts weiter als eine Geschichte ist, die in einer fiktiven Welt der Trennung zwischen mir und dir und den anderen stattfindet: „Individualität“, eine Koordinate auf einem imaginären Spektrum zwischen “Dualität” und “Nondualität”.
Das Selbst ist immer verloren und kann niemals außerhalb seiner selbst geschaffenen Landschaften einer Fata Morgana gefunden werden, in denen Hoffnung und Glaube als Überlebensmechanismen funktionieren. Es gibt keine Oase, an der man ankommen könnte, keinen Himmel, den man erreichen könnte, kein gelobtes Land, keine höhere Dimension, kein abschließendes Ziel.
Es gibt nur dieses unfassbare Mysterium, das sich als das ausdrückt, was ist, das nie verstanden, nie ergründet werden kann, ein nicht greifbares Wunder.
Alle Bezugspunkte sind wie die Wolken am Himmel, wie die Wellen im Ozean: vorübergehende Erscheinung, ewige Unbeständigkeit und Vergänglichkeit, nichts, woran man sich festhalten könnte.
Und auch wenn dies für das ständig zerfallende Territorium des Selbst erschreckend klingen mag, so ist dies doch die überwältigende Freiheit, die ist.